Werteunterricht in Berlin

Expertenanhöhrung im Bildungsausschuss zur Zukunft des Ethik- und Religionsunterrichts

Der Religionsunterricht ist in Berlin seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf ganz besondere Art und Weise und abweichend von der Praxis in den anderen Bundesländern organisiert. Während in den meisten anderen Ländern Religion ein Pflichtfach bzw. ein Wahlpflichtfach ist, ist in Berlin der Religionsunterricht seit 1948 ein freiwilliges zusätzliches Unterrichtsfach. An dieser Regelung ist in den letzten Jahrzehnten nichts verändert worden. Flankiert wird der freiwillige Religionsunterricht jedoch seit rund zwei Jahren durch einen Ethikunterricht. Dieser ist für alle Schüler ab der 7. Klasse ein verpflichtendes und reguläres Unterrichtsfach, in dem gesellschaftliche und religiöse Werte über die Grenzen der Glaubensgemeinschaft hinweg thematisiert werden.

Der gemeinsame Werteunterricht ist nun der Stein des Anstoßes für die Initiative ProReli, die das Pflichtfach Ethik abschaffen und den freiwilligen Religionsunterricht in ein Wahlpflichtfach umwandeln möchte. Damit soll ein Schlussstrich unter das bewährte Berliner Modell des Religionsunterrichts gezogen werden. Stattdessen soll Religion ein Pflichtfach werden, das zu Gunsten des Fachs Ethik abgewählt werden könnte. Konkret bedeutet dies, dass Kinder nach Konfessionen unterschieden in Religion bzw. bei Konfessionslosigkeit in Ethik unterrichtet werden sollen. Da diese Pläne im Abgeordnetenhaus auf eine breite Ablehnung stoßen, versuchen nun die Initiative ProReli und die Kirchen in Berlin über einen Volksentscheid das Wahlpflichtfach Religion einzuführen.

Vor diesem Hintergrund führte der Bildungsausschuss im Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2008 eine Anhörung zu diesem Thema durch. Neben der Initiative ProReli und der evangelischen Kirche kamen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der humanistischen Verbands sowie Professor Bongardt von der FU zu Wort.

Herr Dr. Weil als Vertreter der GEW betonte, dass der in Berlin jüngst eingeführte Ethikunterricht ein Erfolgsmodell sei, da dieses die gegenseitige Akzeptanz in der kulturell sehr heterogenen Schülerschaft steigere. Aus diesem Grund lehne die GEW eine Abschaffung des gemeinsamen Werteunterrichts ab. Darüber hinaus wies Herr Dr. Weil darauf hin, dass die Mehrheit der Berliner konfessionslos sei und darum eine Trennung nach Religionen im schulischen Werteunterricht ein Anachronismus darstelle. Zusammenfassend betonte er, dass die Bestrebungen des Volksbegehrens den begonnen Dialog gefährdeten.

In die gleiche Richtung argumentierte der Berliner Vorsitzende des humanistischen Verbands, Dr. Osuch. Er erklärte, dass es die besondere Stärke des bestehenden Ethikunterrichts sei, dass dieser weltanschaulich neutral und sehr integrativ sei. Den Vertretern von ProReli hielt er vor, einen überflüssiger Kulturkampf provoziere, der den Blick auf die gemeinsamen Herausforderungen aller Wertegemeinschaften verstelle.

Professor Bongardt, der an der Freien Universität den Bereich Ethik koordiniert, schilderte eindrücklich, in welcher schwierigen gesellschaftliche Situation die Debatte um den Werteunterricht geführt werde. Er legte dar, dass das friedliche Zusammenleben in unserer pluralen Gesellschaft gefährdet sei. "Die plurale Gesellschaft braucht eine Basis gegenseitiger Achtung. Das Anderssein der anderen muss gekannt und anerkannt werden." so Bongardt. Vor diesem Hintergrund bedürfe es eines fundierten Werteunterrichts. Dabei kämen dem konfessionellen Religionsunterricht und dem gemeinsamen Werteunterricht unterschiedliche Funktionen zu. Der Religionsunterricht lehre das Sprechen in der eigenen Tradition und macht die Kinder vertraut mit den eigenen religiösen Wurzeln. Der Ethikunterricht hingegen müsse die Sprachlosigkeit zwischen den Religionen abbauen. Angesichts dieser unterschiedlichen Funktionen der beiden Unterrichtsarten plädierte Bogardt für einen freiwilligen Religionsunterricht, der ab der 7. Klasse durch einen verbindlichen Ethikunterricht für alle flankiert werden solle. Dies entspricht genau dem aktuellen Berliner Modell.

Herr Lehmann von der Initiative ProReli betonte hingegen, dass die Wahlfreiheit zwischen Religion und Ethik als Unterrichtsfach für Eltern und Schüler ein übergeordnetes Gut sei. Darüber hinaus trage das Wahlpflichtfach der Unterschiedlichkeit der Religionen in Berlin Rechnung und schaffe erst die Basis für den alltäglich praktizierten Dialog. Mit Blick auf die Einführung des Fachs Ethik erklärte er, dass dadurch der Religionsunterricht in Berlin an den Rand gedrängt werde. Oberkonsistorialrat Schulze von der evangelischen Kirche schloss sich dieser Argumentation an und betonte, dass das Wahlpflichtfach keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung für die Schule sei.

Die Abgeordneten stellten zahlreiche Fragen an die Experten und betonten noch einmal die Positionen ihrer Fraktionen. Für die SPD-Fraktion erklärte Felicitas Tesch, dass in einer multikulturellen Stadt wie Berlin eine gemeinsamer verpflichtender Werteunterricht, der das Verbindende und nicht das Trennende in den Mittelpunkt stelle, dringend notwendig sei.

Bei einer der nächsten Sitzung wird der Bildungsausschuss die Anhörung auswerten. Darüber hinaus wird das Thema im Rahmen einer Aktuellen Stunde in der Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 29. Mai 2008 diskutiert.

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