„Wir dürfen nicht länger zusehen!“
23.04.2015: Berliner Abgeordnetenhaus gedenkt im Mittelmeer verunglückten Flüchtlingen
In einer Schweigeminute gedachten die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses zu Beginn der Sitzung am Donnerstag den über tausend Menschen, die in den vergangenen Tagen bei dem Versuch, über das Mittelmeer die Europäische Union zu erreichen, ertranken. Der Parlamentspräsident Ralf Wieland sprach von „tragischen Szenen“ angesichts derer die Politik nicht weiter zusehe dürfe und kritisierte insbesondere die unverantwortlichen Schlepperbanden, die die Menschen in Seenot brächten. Die EU müsse handeln, um solche Katastrophen wirksam zu verhindern. Das Parlament erhob sich nach den Worten des Präsidenten für eine Schweigeminute.
Das würdevolle Gedenken im Bundestag und jetzt auch im Abgeordnetenhaus kann nicht vergessen machen, dass es fortgesetzte Versäumnisse der deutschen und europäischen Politik im Umgang mit den Flüchtlingen gibt, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen. Auch der jüngst vorgelegte 10-Punkte-Plan der EU löst die gravierenden Probleme nicht: Nach der Ablösung der vor allem auf Seenotrettung ausgelegten italienischen Operation „Mare Nostrum“ durch die EU-Missionen „Triton“ und „Poseidon“ ist das finanzielle Engagement Europas zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen gesunken und der Aktionsradius auf die europäischen Küstengebiete beschränkt worden. Selbst nach der angekündigten Verdopplung der Mittel auf 60 Millionen Euro im Jahr stünde trotz steigender Flüchtlingszahlen nur etwa halb so viel Geld zur Verfügung wie bei italienischen Rettungsoperation„Mare Nostrum“.
Mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex trägt zudem eine Behörde die Verantwortung für diese Missionen, deren Ziel vor allem in der Abwehr von illegaler Einwanderung – also „Flüchtlingsabwehr“ – besteht. Der Schutz von Menschenleben muss jedoch ohne Wenn und Aber höchste Priorität haben. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen diesem Anspruch sofort gerecht werden!
Auch andere Punkte des Zehn-Punkte-Plans sind kritisch zu bewerten. Dies gilt insbesondere für die Forderung nach einer Militärmission, die Boote von Schlepperbanden bereits vor der Küste Libyens zerstört. Ein solcher Vorschlag ist völlig ungeeignet, die Fluchtursachen zu bekämpfen, lässt Flüchtlinge als militärisch zu handhabende Bedrohung erscheinen und birgt ein enormes Risiko in einem ohnehin stark vom Bürgerkrieg gebeutelten Land wie Libyen. Langfristig lässt sich die Krise nur lösen, wenn die EU legale Fluchtwege eröffnet und stärker mit den Herkunftsländern der Flüchtenden zusammenarbeitet, um durch Konfliktbearbeitung und eine bessere wirtschaftliche Entwicklung Fluchtursachen zu beseitigen. Maßnahmen wie die Bekämpfung von Schleuserbanden und die Stärkung von Grenzkontrollen zwischen afrikanischen Staaten sind hingegen ungeeignet die Ursachen der humanitären Katastrophe, die ganz Europa erschüttert, zu beenden.