Statt Hochzeit ein Todesfall
Trauerstimmung: Nach dem Scheitern von Rot-Grün herrscht an der SPD-Basis tiefe Bestürzung.
Wie ist die Stimmung in der SPD nach dem Platzen der rot-grünen Koalitionsverhandlungen? Die meistbenutzte Metapher der Sozialdemokraten stammt aus dem Kernbereich menschlicher Beziehungen. Rot-Grün, das sei für viele in ihrer Parteiabteilung am Klausenerplatz in Charlottenburg eine Liebesheirat gewesen, sagt die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill. Von einer „zerbrochenen Ehe“ spricht ihr Fraktionskollege Lars Oberg. Michael Arndt, Kreischef der SPD in Steglitz-Zehlendorf, fasst das rot-grüne Desaster in einen abgeschlossenen Kurzroman: „Alle haben sich auf eine Hochzeit in Weiß gefreut. Leider ist ein Todesfall dazwischen gekommen.“
Fast durchweg ist von Bestürzung und Trauer die Rede und von Überraschung. „Wir hatten hier alle gedacht, mit dem Beginn der Koalitionsverhandlungen sei der Weg frei für Rot-Grün, “ sagt Andreas Geisel, Kreisvorsitzender in Lichtenberg. Die emotionale Bindung zu den Grünen sei halt stark, sagt Oberg. Arndt registriert bei seinen Genossen zwiespältige Rückmeldungen. Einerseits sei man froh „dass diese Hampelei“ zu Ende ist, andererseits „gibt es bei uns schon eine sehr große Enttäuschung über das Scheitern von Rot-Grün.“ Christian Gaebler, SPD-Kreischef in Charlottenburg-Wilmerdorf und Verkehrspolitiker, kennt auch empörte Reaktionen an die Verhandler: „Warum habt ihr das nicht hinbekommen!?“ Von einseitigen Schuldzuweisungen an Klaus Wowereit oder die Grünen berichtet niemand.
Streitereien „im Detail“
Im Sinne der innerparteilichen Daseinsvorsorge haben Klaus Wowereit und SPD-Chef Michael Müller diese Stimmungslage erwartet, einen gefühlvollen Brief an die Mitglieder geschrieben und das Aus für Rot-Grün erläutert: „Der Schritt ist niemandem leicht gefallen, auch uns nicht.“ Mit den Grünen sei aber leider keine verlässliche Einigung über die A 100 möglich gewesen. „Wir wissen, dass die Entscheidung für eine Koalition mit der CDU vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht leicht fällt,“ aber man hoffe doch auf Verständnis für diesen „letztlich unerfreulichen Schritt“. Am Montag gibt es dazu eine Extra-Mitgliederversammlung. Die wird sich mit den Befürchtungen beschäftigen, die viele der mehrheitlich linken Sozialdemokraten gegenüber der CDU hegen. Die Sozial- und Migrationspolitikerin Radziwill rammt schon mal ein paar Pflöcke ein. „Ich erwarte von der CDU, dass sie eine moderne Integrationspolitik für die Einwanderungsstadt Berlin macht.“ Das rot-rote Integrations- und Partizipationsgesetz müsse bleiben.
Gaebler erwartet im Bereich Verkehrspolitik erstmal keine großen Konflikte mit der Union. Im Detail werde man sich aber sicher auch streiten müssen, etwa über den Bau von Straßenbahnen zulasten des Autoverkehrs. Oder über die Frage, wo genau Tempo 30 sinnvoll sei und wo nicht. Andreas Geisel sagt, in seinem Kreis sei man „voller Sorge, dass wir Abstriche bei den Eckpunkten unserer bisherigen Bildungspolitik machen müssen.“ Er glaubt nicht, dass eine Koalition mit den Konservativen per se leichter wird als eine mit den Grünen. „Die CDU wird nicht kampflos für uns den Part der Linkspartei spielen,“ sagt Geisel. Denn Henkel wisse, dass die SPD jetzt auf ihn angewiesen sei.
Über den richtigen Umgang mit der CDU wird in der SPD noch diskutiert. Wie wäre es mit Frank Henkel als Innensenator? „Nein, danke,“ sagt Ülker Radziwill. Oliver Igel, Kreischef von Treptow-Köpenick vertritt ein Gegenkonzept: „Klar muss Henkel jetzt Innensenator werden. Er hat den Eindruck erweckt, dass dann keine Autos mehr brennen. Das will ich sehen“.
- Berliner Zeitung