Gummibärchen und Aufkleber
Am ersten Tag nach den Ferien hat der Schöneberger Direktkandidat Lars Oberg eine Menge Werbematerial verteilt
Der weiße Stehtisch vor dem Eingang zum U-Bahnhof Kleistpark in Schöneberg ist vollgepackt mit Werbematerial. Unter dem SPD-Schirm liegen Broschüren mit dem Wahlprogramm in Lang- und in Kurzfassung, es stapeln sich Faltblättchen, die den Wahlkreiskandidaten oder das Thema "gute Bildung" vorstellen, dazu Aufkleber, Luftballons, Trillerpfeifen, Kugelschreiber, Feuerzeuge, Kekse und Gummibärchen. Gummibärchen müssten eigentlich reißenden Absatz finden, sollte man meinen, gerade bei Kindern. Gegen elf Uhr schlendern drei kleine Jungs vorbei, ihr erster Schultag scheint schon beendet zu sein. Lars Oberg nimmt eine Handvoll Gummibärchen-Tüten und spricht sie an, man muss schließlich auch an die Wähler von Übermorgen denken. Die Grundschüler begutachten die Ware. Und lehnen ab. Den Kandidaten überrascht das nicht. Verglichen mit dem Wahlkampf vor fünf Jahren, als er in seinem Schöneberger Wahlkreis 39,9 Prozent der Erststimmen holte und direkt ins Abgeordnetenhaus einzog, erlebt er das nun häufiger. Gummibärchen enthielten Schweinegelatine, erzählt Oberg, viele Eltern würden sie ihren Kindern aus religiösen Gründen verbieten. Aber es gibt auch andere Passanten. Ein älterer Herr kommt sogar mehrmals vorbei, um sich mit Süßigkeiten oder Feuerzeugen einzudecken. Über die SPD reden will er nicht. Oberg, hauptberuflich im Bundesinnenministerium beschäftigt, hat lange gespart, um sich das Wahlkampfmaterial leisten zu können. Über 10 000 Euro hat er aus eigener Tasche investiert, etwa für 15 000 Mini-Aufkleber mit seinem Foto darauf, die allein 500 Euro gekostet haben. Wenn die Leute nun achtlos Broschüren einstecken und später vielleicht ungelesen wegwerfen, ärgert ihn das trotzdem nicht. "Entscheidend sind die Kontakte", sagt der studierte Kommunikationsexperte, "je mehr, desto besser". Und er hat Kontakte an diesem Montagvormittag, viel mehr als in den Wochen zuvor. "Die Ferien sind vorbei, auf einen Schlag ist die Stadt wieder voll", sagt Oberg, während er und seine beiden Helfer pausenlos Faltblätter verteilen. Viele Leute sagen im Vorbeigehen, sie hätten bereits per Brief gewählt oder könnten ihm "leider" nicht ihre Stimme geben, weil sie nur einen Zweitwohnsitz in Berlin oder keinen deutschen Pass hätten. Freundlich sind alle. Die Unfreundlichen sind wohl eher nachts unterwegs, etwa um Plakate von den Laternen zu reißen. Letzte Woche wurden in der Grunewaldstraße die Poster sämtlicher Kandidaten zerstört. Das verbreitete Gefühl, dass diesmal besonders viel plakatiert wird, bestätigt Oberg. Von sich selber (mit Mütze) hat er rund 1000 Plakate produzieren lassen, für 1,80 Euro das Stück. Bei seinem ersten Wahlkampf 2001 waren es nur 120. Die Produktion sei billiger geworden, und für die Wiedererkennung seien sie so unverzichtbar wie die Infostände oder Hausbesuche, sagt er. Wahlkampf über das Internet sei hingegen nur "digitale Begleitmusik", ohne Garantie, auch nur einen einzigen potenziellen Wähler zusätzlich zu erreichen. Unter seinen rund 800 Kontakten im sozialen Netzwerk Facebook - den Fachbegriff Freunde verwendet Oberg bewusst nicht - seien höchstens 20, die keine eingefleischten Sozialdemokraten seien. Erfahren sollen sie aber trotzdem, was er so alles erlebt. Auf dem Weg zum nächsten Termin teilt Oberg via Facebook mit: "Heute Vormittag war die Berliner Zeitung bei uns am Stand am Kleistpark."
- Berliner Zeitung